Hat sich der Rekrutierungsprozess seit dem Beginn der Corona-Krise verändert?

In meiner Funktion als Coach von Stellensuchenden werde ich immer wieder gefragt, ob sich der Rekrutierungsprozess seit dem Start der Corona-Krise im März 2020 verändert hat. Viele Suchende sind verunsichert, wenn sie von den Firmen kontaktiert werden und diese mit folgenden Fragen an sie gelangen: «Sind Sie nach wie vor an der Stelle interessiert?» «Ja, dann werden wir das erste Interview online durchführen». «Ich gehe davon aus, dass Sie über einen PC/Laptop mit Kamera und ein Headset verfügen».

Ängste der Unternehmen

Da ich selbst Interim-HR-Mandate bei Kunden begleiten darf und dort zum Teil auch für die Rekrutierungen verantwortlich bin, weiss ich zu gut, wie vielschichtig die momentane Rekrutierungssituation auch für Unternehmen aussieht.

Viele Unternehmen sind nach wie vor nicht bereit, mögliche Kandidatinnen und Kandidaten zu «vor-Ort-Interviews» einzuladen. Dies einerseits um die Sicherheit der Angestellten möglichst hochhalten zu können und sie vor möglichen externen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu schützen. Andererseits besteht immer noch eine Maskenpflicht in den Sitzungszimmern, sofern die 1.5 Meter Abstand nicht eingehalten werden können. Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Tatsachen gilt es für die Unternehmen abzuschätzen, ob es sich überhaupt lohnt eine Kandidatin oder einen Kandidaten mit Maske in einem ersten Gespräch zu interviewen. Mimik und Gestik sind hinter der Maske oftmals nur schwer auszumachen. Aus diesem Grund wählen viele KMU’s heute ein zweistufiges Rekrutierungsmodell. Ein erstes Vorstellungsgespräch findet online statt. Ein Zweites und allfällige weitere Interviews finden dann vor Ort in den Räumlichkeiten des Unternehmens statt.

Tipps für das Online-Interview

Folgende Tipps sollten im Vorfeld und während einem Online-Interview von beiden Seiten beachtet werden:

  • Technik im Vorfeld prüfen (Webcam, Mikrofon, LAN/WLAN)
  • Ruhige Atmosphäre ohne irgendwelche Störquellen (Mobile, Türe, Fenster, Lärm) suchen
  • Lichtquelle beachten (Licht sollte von der Seite kommen)
  • Hintergrund (alles wegräumen, das Fragen aufwerfen könnte)
  • Bildausschnitt vor dem definitiven Einwählen prüfen
  • Rechtzeitig startklar sein (zirka 5 Minuten vorher)
  • Notizen machen während dem Interview
  • Dresscode beachten (Professionell wie bei einem Interview vor Ort)
  • Körpersprache beachten (Hängende Schultern, krummer Rücken vermeiden)
  • Gerade in die Kamera schauen (nicht seitlich!)

Sind schon alle Unternehmen und Stellensuchenden in der "neuen" Arbeitswelt angekommen

Die Corona-Krise hat die Nutzung von Online-Tools im Selektionsprozess massiv beschleunigt. Viele Unternehmen und auch Stellensuchende haben diesen rasanten Wandel vollzogen und bezeichnen diesen neuen Weg heute als «normal». Homeoffice ist in einigen Firmen zum Standard geworden. Andere ermöglichen den Mitarbeitenden an einigen Tagen pro Woche zu Hause zu arbeiten. Entsprechend sind die gemeinsamen Aktivitäten vor Ort im Unternehmen auf ein paar wenige Stunden reduziert worden. Was liegt da also näher, als Interviews ebenfalls von dezentral via Google Meet, Zoom, MS-Teams oder Webex zu führen? Es gibt aber auch viele, vor allem kleinere Unternehmen, die diesen Schritt noch nicht gegangen sind und ihn (noch) nicht gehen wollen. Solange der Rekrutierungsprozess funktioniert und die Vakanzen zeitgerecht besetzt werden können, spricht nichts dagegen! Sollte sich der «War for Talents» weiter verstärken, wird jedoch Innovation, auch im Rekrutierungsprozess, entscheidend sein.

Fazit

Es empfiehlt sich eine für beide Seiten optimale Lösung für die Rekrutierungsaktivitäten zu finden. Meine Erfahrungen der letzten 1.5 Jahre zeigen, dass es eine gewisse Offenheit benötigt. Die Stellensuchenden sollten sich bereit erklären, ein erstes Gespräch online via IT-Infrastruktur zu führen, sollte dies der Wunscharbeitgeber so vorgeben. Die Beschaffung eines Headsets ist inzwischen finanziell tragbar und die Kamera kann nach Abschluss des Interviews wieder deaktiviert werden. Die Arbeitgebenden sollten bei einer Online-Interviewsequenz auch einmal ein Auge zudrücken können, sollte die Technik zu Beginn des Interviews nicht optimal eingestellt sein. Am Schluss geht es doch darum, dass sich sowohl der Kandidat/die Kandidatin als auch die Unternehmung über den gemeinsamen Vertragsabschluss freuen können.

Zitat zum Schluss

«Offenheit ist ein Schlüssel, der viele Türen öffnen kann»

Ernst Ferstl
Österreichischer Lehrer und Schriftsteller

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